Die Multiple Sklerose ist eine entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), bei der die Myelinscheiden um die Nervenfasern zerstört werden. Das Myelin ist reich an Lipiden (Fette) und wirkt als eine Art elektrische Isolierung, vergleichbar mit der Isolation von stromführenden Kabeln in der Elektronik und Elektrotechnik.
Tatsächlich handelt es sich um mehrere eng aneinanderliegende Lagen der Plasmamembranen von Oligodendrozyten, die sich buchstäblich um die Axone herum wickeln. Diese Isolierung hat eine protektive Funktion und bewirkt außerdem eine Beschleunigung der Signalweiterleitung, die für das normale Funktionieren des ZNS unerlässlich ist.

Die geografische Verteilung der MS ist gut untersucht und zeigt eine höhere Häufigkeit in den vom Äquator entfernten Regionen. Mit höherem Breitengrad sinkt sowohl der für die Vitamin-D-Synthese notwendige UVB-Anteil als auch die Anzahl der Sonnenstunden insgesamt. Vitamin D wirkt regulierend auf das Immunsystem, und so ist es nicht verwunderlich, dass es mehrere wissenschaftliche Arbeiten gibt, die einen Zusammenhang zwischen der MS und dem Vitamin-D-Spiegel festgestellt haben. Hier sollen ein Paar von diesen Untersuchungen vorgestellt werden:

Die Umfangreichste davon ist eine Metastudie, im deren Rahmen die englischsprachige Literatur aus den Jahren 1969 bis 2012 nach Studien durchsucht wurde, die sich mit den dosisabhängigen Effekten von Vitamin D auf die Entstehung und Entwicklung von MS beschäftigt haben (Mesliniene, Ramrattan, Giddings, and Sheikh-Ali, 2013). Ausgewertet wurden lediglich die Studien mit genauen Angaben über die Populationsgröße, über die verwendeten Vitamin-D-Konzentrationen und den daraus resultierenden Effekt auf die MS.
Die Analysen der präklinischen und der Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass Vitamin-D-Mangel bei MS-Patienten sehr verbreitet ist und dass Vitamin D ein wirkungsvoller Regulator der typischen Entzündung während der MS ist. Bei der Untersuchung der Korrelation zwischen dem Vitamin-D-Spiegel und der Schwere der Erkrankung gab es widersprüchliche Ergebnisse. Selbiges gilt für die Versuche, Vitamin D als Therapeutikum für MS zu benutzen. Nichtsdestotrotz folgern die Autoren der Studie, dass dem Vitamin-D-Mangel bei den MS-Patienten entgegengewirkt werden sollte und dass das Risiko an MS zu erkranken durch das Erhalten eines optimalen Vitamin-D-Spiegels minimiert werden kann.

Eine neuere Studie von der Shaheed Beheshti Universität im Iran hat eine Korrelation zwischen der Schwere der Erkrankung und dem Vitamin-D-Status festgestellt (Shahbeigi, Pakdaman, Fereshtehnejad, Nikravesh, Mirabi, and Jalilzadeh, 2013). An der Untersuchung nahmen 98 Patienten mit schubförmig remittierender MS teil, die in drei Gruppen (leichte, moderate und schwere Behinderung) eingeteilt wurden. Die Entscheidung basierte auf der EDSS (Expanded Disability Status Scale), einer Leistungsskala, die den Schweregrad der Behinderung angibt. Als Kontrolle dienten 17 gesunde Probanden. Es gab tatsächlich eine statistisch signifikante inverse Korrelation zwischen der Vitamin-D-Konzentration und dem Behinderungsgrad. Das heißt, dass Patienten mit der größten Behinderung durch MS über die niedrigsten Vitamin-D-Spiegel verfügten. Dieser Effekt war aber nur bei weiblichen Patienten feststellbar. Ein möglicher Grund dafür könnte die Tatsache sein, dass Frauen gewöhnlich niedrigere Vitamin-D-Konzentrationen aufweisen als Männer. Aber auch andere, geschlechtsspezifische Unterschiede in der Physiologie können nicht ausgeschlossen werden.

Zuletzt soll eine Arbeit aus Toronto (Kanada) vorgestellt werden (Burton, Kimball, Vieth, Bar-Or, Dosch, Cheung, Gagne, D'Souza, Ursell, and O'Connor, 2010). Hier wurde die Sicherheit der Vitamin-D-Supplementierung während der Behandlung von MS untersucht. Eine relativ kleine Gruppe von Patienten wurde zufällig auf zwei Gruppen verteilt und 52 Wochen lang untersucht. 25 Personen erhielten steigende Dosen an Vitamin D bis zu 40.000 IE täglich (sic!) über einen Zeitraum von 28 Wochen. Dem folgte eine 12-wöchige Behandlung mit 10.000 IE täglich, gefolgt von einer langsamen Runterdosierung bis auf 0 IE täglich. Die Patienten erhielten über den gesamten Zeitraum 1200 mg Kalzium täglich. Die Kontrollgruppe (24 Personen) wurde angehalten, weniger als 4000 IE Vitamin D täglich einzunehmen, falls dies von den Patienten überhaupt erwünscht war. Die Auswertung hat ergeben, dass es keine signifikanten Unterschiede bei den Kalziummessungen im Serum innerhalb und zwischen den einzelnen Gruppen gegeben hat.

Dies bedeutet, dass hohe Dosen an Vitamin D nachweislich nicht zwangsläufig zu der so oft propagierten Hyperkalzämie führen. Und das obwohl die mittlere Vitamin-D-Konzentration zeitweise eine Höhe von 413 nmol/L (165 ng/ml) erreicht hatte. Bitte beachten Sie dabei, dass es sich um einen Mittelwert handelt. Das heisst einzelne Personen wiesen einen Wert von mehr als 550 nmol/L über mehrere Wochen auf, ohne das es irgendwelche Nebenwirkungen gab.


Da es sich nicht um eine Blindstudie handelte, dürfen die klinischen Effekte von Vitamin D eigentlich nicht analysiert werden (Placebo-Effekt). Es wurde jedoch festgestellt, dass es in der Vitamin-D-Gruppe weniger MS-Schübe gegeben hatte. Weiterhin wurde eine lang anhaltende Reduktion der T-Zell-Aktivierung festgestellt.

Eine andere Arbeit aus dem Jahr 2007 kommt zu ähnlichen Ergebnissen bezüglich der Ungefährlichkeit von Vitamin D (Kimball, Ursell, O'Connor, and Vieth, 2007).

Zusammenfassend kann man feststellen, dass Vitamin D eine wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeit für MS-Patienten bietet. Aber auch Personen, die dieser Diagnose entgehen wollen, sind gut beraten, ihren Vitamin-D-Spiegel bestimmen zu lassen und gegebenenfalls mit gezieltem Sonnenbaden oder mit Nahrungsergänzungsmitteln gegenzuwirken.


Referenzen:

Burton JM, Kimball S, Vieth R, Bar-Or A, Dosch HM, Cheung R, Gagne D, D'Souza C, Ursell M, O'Connor P. 2010. A phase I/II dose-escalation trial of vitamin D3 and calcium in multiple sclerosis. Neurology 74:1852-1859.

Kimball SM, Ursell MR, O'Connor P, Vieth R. 2007. Safety of vitamin D3 in adults with multiple sclerosis. Am J Clin Nutr 86:645-651.

Mesliniene S, Ramrattan L, Giddings S, Sheikh-Ali M. 2013. Role of vitamin D in the onset, progression, and severity of multiple sclerosis. Endocr Pract 19:129-136.

Shahbeigi S, Pakdaman H, Fereshtehnejad SM, Nikravesh E, Mirabi N, Jalilzadeh G. 2013. Vitamin d3 concentration correlates with the severity of multiple sclerosis. Int J Prev Med 4:585-591.